Hinweise zum Lebensalter von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA)

09.02.2020

Geht scho no!?

Stell dir vor…

Du leihst dir den VW Bus Deines Kumpels. Bei der Übergabe meint er: „Läuft super, nur die Bremsen sind schon ziemlich alt. Von außen sehen sie einwandfrei aus. Kann aber niemand sagen, ob sie bei einer Vollbremsung noch funktionieren.“ Würdest Du mit dem Bus fahren? Die meisten von uns vermutlich nicht.

Warum trifft man dann in den Bergen, auch auf unseren Sektionstouren, immer wieder Leute, die URALTES Sicherungsmaterial wie Schlingen, Gurte oder Helme dabeihaben? „Am Flohmarkt gekauft“ oder „vom Papa geerbt“? Obwohl der uralte Gurt im Ernstfall, z.B. bei einem Sturz, reißen könnte? Obwohl der uralte Helm den Einschlag eines Steins auf den eigenen Kopf evtl. nicht mehr verhindert?

 

Was soll die­ser Bei­trag über­haupt?

In diesem Beitrag möchte ich NICHT dazu animieren Sicherungsausrüstung laufend neu zu kaufen (ich kriege keine Provisionen). Ich möchte vielmehr erklären, was Persönliche Schutzausrüstung im Bergsport ist, warum sie nach einer gewissen Zeit ausgesondert werden sollte und ich hoffe, dass sich der oder die eine beim Lesen ermuntert fühlt einen Blick auf die eigene Ausrüstung zu werfen.

 

Was ist PSA?

Sicherheitsrelevante Bergsportausrüstung - z.B. Helme, Gurte, Bandschlingen, Karabiner, Haken etc. - gehört zur persönlichen Schutzausrüstung (PSA). Diese Produkte müssen vor dem Verkauf gemäß einer PSA-Richtlinie von einem unabhängigen Institut überprüft werden. Diese Überprüfung sieht man in Europa am CE-Zeichen. Es kommt immer wieder vor, dass Leute unwissend ungeprüfte PSA „irgendwo“ aus dem Internet bestellen (d.h. ohne CE-Zeichen). Dabei hat man keine Garantie, dass vorgegebene Normen eingehalten werden, sprich dass die Schlinge den Sturz hält!

  • Verwende keine PSA ohne CE-Zeichen!

 

Wie lan­ge kann ich PSA ver­wen­den?

Hier muss man unterscheiden: Es gibt PSA mit textilen Bestandteilen (Gurte, Schlingen, Expressschlingen, Seile etc.) und PSA aus Metall (Haken, Karabiner, Eisschrauben etc.).

PSA aus Metall altert nicht, ist also grundsätzlich „ein Leben lang“ einsetzbar. Allerdings können auch Karabiner & Co. durch Verschleiß oder Unfälle kaputt gehen (Brüche, Verbiegungen, Einkerbungen, Risse, Dreck im Schnappergelenk etc.). Daher solltet Ihr vor jedem Einsatz eine Sichtprüfung der PSA aus Metall machen: Sehe ich Risse? Funktioniert der Schnapper des Karabiners einwandfrei? Ist die Pickelhaue noch gerade?

  • PSA aus Metall altert nicht, muss aber vor jedem Einsatz auf Schäden und Funktion überprüft werden!

PSA mit Textil ist leider komplizierter, denn das textile Bandmaterial altert - z.B. die Schlinge in der Exe oder der Hüftgurt. Und zwar automatisch, auch wenn wir es nicht benutzen.

Vorab eine Begriffsklärung:

  • Nutzungsdauer = Wie lange kann ich das Produkt benutzen?
  • Lebensdauer = Nutzungsdauer + Lagerungsdauer
  • Herstelldatum = Datum der Herstellung (logisch); ab diesem Datum beginnt die Zeitrechnung für die Lebensdauer, egal wann Ihr das Produkt gekauft habt (das wäre das Kaufdatum).

Um herauszufinden, ob Eure PSA mit Textil „noch geht“, gibt es einige Faustregeln:

  • Lies die Betriebsanleitung!

In der Betriebsanleitung steht die maximale Lebensdauer des Produkts. Im besten Fall steht auch noch etwas zur Nutzungsdauer: Z.B. kann ein Gurt eine Le­bensdauer von 10 Jahren haben; wenn man ihn jede Woche benutzt, reduziert sich die Nut­zungsdauer deutlich!

Wenn in der Betriebsanleitung keine Angaben zur Nutzungsdauer sind, helfen folgende Regeln:

1-3-5er Regel

  • 1 Jahr Nutzungsdauer bei sehr häufigem Gebrauch: „1x pro Woche“
  • 3 Jahre Nutzungsdauer bei gelegentlichem Gebrauch: „1x im Monat“
  • 5 Jahre Nutzungsdauer bei seltenem Gebrauch: „1x im Jahr“

„5 Jahre Nutzung + 5 Jahre Lagerung“

Wenn ich z.B. nur alle 2 Jahre zum Klettern gehe, kann ich meinen Gurt trotzdem 10 Jahre behalten (5 Jahre nutzen und 5 Jahre lagern). Übrigens: Seit 2007 muss auf neuer PSA das Herstelldatum am Produkt genannt sein (z.B. am Seilende, am Etikett an der Bandschlingennaht etc.). Das heißt im Umkehrschluss: PSA, die jetzt (2020) keine Angaben zum Herstelldatum am Produkt hat, ist definitiv älter als 10 Jahre und daher reif zum Aussortieren.

Unabhängig davon solltet Ihr bei textiler PSA vor jedem Einsatz eine Sichtprüfung machen: Sind die Nähte noch in Ordnung? Gibt es Verfärbungen? Ist das Material ausgefranst/stehen Fasern raus?

  • Textile PSA vor jedem Einsatz auf Schäden & Funktion prüfen und zusätzlich einmal im Jahr checken, ob Lebens- und Nutzungsdauer abgelaufen sind.

 

Son­der­fall Dy­nee­ma

Seit einigen Jahren gibt es Bandschlingen aus Dyneema: super fest und super leicht. Nachteil: Sie altern schneller als anderes textiles Bandmaterial, vor allem, weil kein schützender „Textilmantel“ über dem Dyneema-Kern ist. So kann z.B. UV-Strahlung direkt in den Kern eindringen und er altert schneller.

  • Dyneema Schlingen spät. nach 5 Jahren aussondern!

 

Die rich­ti­ge La­ge­rung

Die maximale Lebensdauer kann nur erreicht werden, wenn das Produkt richtig gelagert wird. Auch dazu gibt es in jeder Betriebsanleitung Hinweise. Allgemein gilt: dunkel (nicht im Sonnenlicht!), trocken (nicht in der Garage!) und vor allem nicht in der Nähe von Chemikalien (z.B. Autobatterien!) lagern.

  • Nur wenn die PSA richtig gelagert wird, gelten die Angaben zur maximalen Lebensdauer!

 

Übrigens: Wenn Ihr PSA gebraucht kauft, wisst Ihr nicht, wie die Sachen gelagert wurden (eine Festigkeitsreduzierung durch Chemikalien sieht man ggf. nicht von außen!). Daher solltet Ihr textile PSA nie gebraucht kaufen. (Bei PSA mit Metall könnt Ihr Funktion und Zustand von außen begutachten.)

  • Textile PSA nie gebraucht kaufen!

 

PSA & Jo­ghurt

Es ist (fast) wie mit dem Joghurt: Der ist auch nicht unbedingt am ersten Tag nach dem „Mindesthaltbarkeitsdatum“ abgelaufen. Ich habe auch schon mal eine Bandschlinge noch auf ein paar Touren nach dem Aussonderdatum genutzt - weil ich wusste, dass sie immer richtig gelagert wurde, dass sie nie einer großen Sturzbelastung ausgesetzt war und sie äußerlich einwandfrei aussah. Im Jahr drauf kam sie dann aber weg. Was ich damit sagen will: Jeder ist selbst dafür verantwortlich, wie lange er seine PSA anwendet bzw. wann er sie aussondert. Wer mit einem 15 Jahre alten Gurt klettern gehen will, kann das eigenverantwortlich tun (und vielleicht hält der Gurt das auch noch viele Jahre aus).

  • Jeder ist für seine PSA (und deren Aussondern) selbst verantwortlich.

Sobald Ihr jedoch für andere verantwortlich seid, solltet Ihr Euch bei PSA an die genannten Angaben halten. Das gilt z.B., wenn Ihr mit Kindern unterwegs seid, für uns Fachübungsleiter mit Gruppen oder wenn Ihr Eure Bandschlinge dem vorsteigenden Spezl als Material mitgebt.

Das ist meine Empfehlung. Ich sortiere meine PSA tatsächlich regelmäßig aus und weise meine Tourenpartner und Teilnehmer auf altes Material hin. In meiner letzten Fortbildung wurde uns Trainern empfohlen niemand mit veralteter PSA auf Sektionstour mitzunehmen, weil wir bei einem Unfall haftbar sein können. Auch wenn mir jemand versichert, dass der Gurt die letzten 20 Jahre schon 1000 Stürze gehalten hat - wenn er bei meiner Tour nicht mehr hält, haben der Gurtbesitzer und ich ein Problem (er gesundheitlich und ich rechtlich). Daher habe ich diesen Artikel geschrieben und daher werde ich ab diesem Jahr meine Teilnehmer bereits vor der Tour auf die Thematik „Lebensalter PSA“ hinweisen. Wer auf Tour mit dem Gurt „annodazumal“ aufkreuzt, muss im blödesten Fall unten bleiben - was aber vermeidbar ist: Ihr wisst jetzt, worauf Ihr achten müsst und dürft natürlich immer fragen!